...und stets das Böse schafft.
Ich weiss, dieser Satz von Goethe lautet richtig umgekehrt.
Aber damit sind wir ja schon beim Thema:
Wie kommt es, dass in dieser Welt alles Gute und Wahre scheinbar stets in sein Gegenteil gekehrt wird (und das auch noch ohne, dass wir es merken)?
Vorhin beim Essen habe ich über anti foodwaste nachgedacht. Darauf gebracht hat mich der glutenfreie Tortilla auf meinem Teller, der fast ganz aus Gemüsetrester gemacht ist und im Bio-Laden als das neuste Must Have gehypet wurde. Auf der Verpackung weisen die Hersteller darauf hin, dass Trester aus der Gemüsesaftproduktion bisher nicht als Lebensmittel genutzt wurde, obwohl er doch noch so viele wertvolle Inhaltsstoffe enthält. Daher, implizit also als Akt gegen die Lebensmittelverschwendung, habe man sich entschlossen, das zu ändern und stattdessen leckeren Tortillas daraus zu machen.
"...und ein gutes Geschäft noch dazu", dachte ich. "Sie verkaufen jetzt also ganz offiziell Abfall - in Tortillaform: vier Stück für knapp sechs Franken."
Das mag jetzt zynisch klingen, aber, lasst mich noch weiter ausholen.
Containerzeit
Ich habe vor einigen Jahren das Anti-Lebensmittelverschwenden selbst gelebt und mich voll damit identifiziert. Ich konnte nicht glauben, was da alles an untadeligem Essen weggeschmissen wird, während Menschen in anderen Erdteilen hungern. Also ging ich es eigenhändig regelmässig aus den Containern fischen. Für mich war es eine Mischung aus Rebellion, gewaltfreiem Widerstand, Abenteuer und Geldsparen. Kurz: Es machte total Sinn und Spass.
foodsharing
Irgendwann schloss ich mich mit anderen Gleichgesinnten zusammen, und wir begannen ein foodsharing-Netzwerk in der Stadt aufzubauen. Das machte doch schliesslich noch mehr Sinn: Anstatt (halblegal) das Essen aus der Tonne zu fischen, fragten wir die Läden direkt an, ob sie, ganz offiziell, Lebensmittel, die sie abends zB aus rein optischen oder MHD-Gründen wegschmeissen würden, vor der Tonne retten wollen, indem sie es uns anvertrauten. Wir sorgten dann dafür, dass alles doch noch dem menschlichen Verzehr zugeführt wurde, genau so wie es für Lebensmittel ja eigentlich angedacht ist.
Weltverbesserer
Es war eine tolle Zeit. Immer mehr Menschen fanden es wichtig, dass man nicht achtlos mit Lebensmitteln umgeht und sowohl Konsumenten wie auch Händler und Produzenten für das Thema foodwaste sensibilisiert. Wir waren fest davon überzeugt, dass, wenn sich das Gedankengut erst weit genug verbreitet hat, es nach den Konsumenten auch zu einem Umdenken in der Lebensmittelindustrie kommen würde. Ja klar, denn wenn die Leute weniger Lebensmittel kaufen, weil sie gelernt haben, sie effizienter zu nutzen (anstatt sie am Ende wegen Fehlplanung doch wegzuwerfen), müssten auch die Händler nachziehen und ihre Einkäufe besser planen, damit sie am Ende nicht auf noch mehr foodwaste, sprich finanziellen Verlusten, sitzenbleiben.
So dachten wir, von unten her eine Veränderung zum Guten in Gang zu bringen. In meinen Ohren klingt das immer noch sehr logisch.
Womit wir aber nicht gerechnet haben, das ist einerseits der kalte Geschäftssinn der Wirtschaftsleute und andererseits das, was man wohl als die Unbewusstheit der Masse bezeichnen muss.
Die Wende
Es dauerte nur wenige Jahre - Bewegungen wie die unsere waren inzwischen breit bekannt und die Euphorie in den eigenen Reihen gross - als die ersten Betriebe begannen, ihre Überschüsse abends zu einem leicht verbilligtem Preis ihrer Kundschaft anzubieten, anstatt sie weiterhin gratis an uns weiterzugeben. Fanden wir grundsätzlich ja auch noch gut. Halt sowas wie das 50%-Körbli im Migros. Immerhin.
Es funktionierte.
Und es funktionierte nun - meine Vermutung - besser als früher, wo man sich eher ein bisschen schämte, wenn man in der Migros im Lebensmittel-Körbli mit den reduzierten Sachen wühlte. So
viel besser, dass man nun auch daraus wieder ein Geschäft machen konnte. Plötzlich gab es Apps, mithilfe derer man abends in Restaurants Lebensmittel retten (aka: kaufen) gehen konnte (ja, auch
solche, die man sonst vielleicht gar nicht gekauft hätte...es gibt hier ja wohl kaum einen Unterschied zu anderen Rabatten, die zum Kauf von Dingen verlocken, die man eigentlich nicht
braucht).
Warum funktionert(e) das nun aber so gut?
Na klar! Der Ausdruck anti foodwaste war schliesslich mittlerweile - durch unsere Arbeit - der breiten Bevölkerung als 'etwas Gutes' bekannt und wurde so zum billigen,
prestigebringenden Werbetrick.
Ein Unternehmer in der Lebensmittelbranche, der heute etwas auf sich hält, 'engagiert' sich gegen die Lebensmittelverschwendung, indem er so 'grosszügig' ist, seine Überschüsse, die er früher
Tonnenweise einfach entsorgt hat, mit ein paar Prozenten Rabatt feilzubieten und so der nach guten Taten (und Rabatten!) hungernden Kundschaft, die Möglichkeit gibt, beim 'geilen' Sparen nebenbei
auch gleich noch was gegen die Lebensmittelverschwendung und fürs gute Gewissen zu tun...
Ja, mittlerweile sind wir so weit, dass der Konsument beim Stichwort anti foodwaste wie ferngesteuert zugreift und bereit ist, dafür sogar noch mehr zu bezahlen, ohne darüber nachzudenken. Ganz ähnlich wie das mit Bezeichnungen wie 'bio' und 'grün' ja auch schon super funktioniert.
Nun frage ich mich also:
Wir wollten das Gute.
Haben wir damit nun aber nicht auch dem 'Bösen' zugearbeitet, indem wir ihm gratis sozusagen eine neue Werbestrategie inklusive neuem Kundenstamm aufgebaut haben?
Und liegt es tatsächlich 'nur' an unser aller Unbewusstheit, dass es nicht so gekommen ist, wie wir uns das ausgemalt hatten?