Liebe Blütenlesende
Das kleine Apfelbäumchen in unserem Garten ist erst einige Jahre alt und etwa einen Kopf grösser als ich.
Diesen Frühling zeigen sich an ihm plötzlich die ersten Knospen...Knospen, die ganz offenbar die Blüte der Erkenntnis in sich tragen. Denn heute erzählte es mir voller Freude:
„Ich bin so glücklich! Denn auf einmal verstehe ich:
Das, was ich in meinem Leben getan, gelernt, durchlebt und durchlitten habe,...das war ja alles gebraucht! Genau wie es war und genau dann, als es war!
Ich musste ja so ewig lange in der Erde schlafen und alle meine Kraft gebündelt zurückhalten, damit sie, als mich das Sonnenlicht kitzelte und in mir den tiefen Wunsch weckte zu diesem Licht emporzuwachsen, alle auf einmal befreit werden konnte um mir genug Schub zu geben, das dann auch zu tun.
Ich musste ja die Widerstände der Erdkruste überwinden um noch mehr von diesem so köstlichen Licht zu bekommen und noch stärker zu werden...Ich musste ja diese Wachstumsschmerzen haben, sonst wäre ich jetzt nicht so gross wie ich schon bin...
Ich musste ja lernen, mit Wind und Kälte, mit Schnee, Hagel und Stürmen aber auch mit grosser Sommerhitze umzugehen und in all diesen Tagen herausfinden, was von mir gefordert war um in allen möglichen Umständen trotzdem weiter zu gedeihen; das beste daraus zu ziehen...Es hat mich gelehrt, in allem, was ist das Geschenk zu sehen.
Ich musste ja immer wieder meine Blätter loslassen...um im grossen Reigen mitzutanzen...um meinen Wurzeln, und auch dem Boden um mich herum eine warme Decke zu bereiten, damit er über Winter
darunter schlafen konnte.
Ich bin ja von Nutzen...ich bin ja gebraucht..Was mit mir passiert, ist gut!
Ich musste ja meine Triebe zu Beginn immer noch mit einer harten Schale schützen damit sie nicht abgefressen wurden oder erfroren...Ich weiss jetzt, wann Schutz nötig ist und wann es Zeit ist, sich zu öffnen und loszulassen.
Ich musste ja den Käfern und Parasiten begegnen. Sie machten mir Angst, aber alles was ich tun konnte, war einfach weiterzuwachsen, damit ich stärker wurde und sie mir nichts mehr anhaben konnten. Es hat mein Vertrauen gestärkt!
...
...
Ich habe tatsächlich, ohne es zu merken, aus allem, was ich erlebt habe, genau das gelernt und gezogen, was nötig war, um jetzt hier zu sein und zu sehen wie die ersten Blüten aufgehen und endlich anfangen diesen wundervollen Duft zu verströmen...den Duft, den ich schon soo lange in mir gewusst habe...aber einfach nicht darauf kam, wie ich ihn befreien sollte.
Diese Sehnsucht war so stark, oft tat sie weh und ich beklagte, dass ich keinen Weg fand um diesen Duft, mein Lied!, der Welt zu schenken,...wie oft dachte ich, ich mache etwas falsch...nun
sehe ich: Das kaum mehr zu ertragende Sehnen ist das Zeichen dafür, dass jener Frühling schon ganz nah ist...
...
...
Vielleicht kommt die Kälte noch einmal zurück und die Blüten gehen wieder ein. Vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht, höchstwahrscheinlich, verwelken sie irgendwann. Vielleicht werden sie vorher bestäubt. Vielleicht nicht.
Vielleicht sind die Früchte, die sie bringen, nur für wenige bekömmlich. Vielleicht kommen gar keine Früchte.
Aber was tut das schon?
Ich wachse. Ich wachse der Sonne entgegen!
Ich singe mein Lied.
Ich bin ein Apfelbaum.
Ich bin!
Ich bin.
Ich BIN.“
In Liebe.
Suva