Liebe Blütenlesenden
Heute möchte ich dir von etwas erzählen, das mich jahre- wenn nicht jahrzehntelang gequält hat. Vielleicht kennst du es auch. Es geht um dieses Gefühl, nicht genug zu sein. Nicht gut genug.
Ich gehörte nie zu denen, die man selbstbewusst nannte. Ich war nie selbstsicher. Ich war immer unsicher. In allem. Sicher schien nur zu sein: All diese (meist lauten) Selbstsicheren da, die schienen irgendwie glücklicher zu sein. Die hatten was, was ich nicht hatte. Und ich wollte das auch haben. Also folgte ich ihrem Vorbild. Oder sagen wir es so: Ich versuchte es. Denn so recht klappen wollte es damit bei mir nie...
Irgendwann hab ich also angefangen mir ein Leben zu basteln. Mit all den Zutaten, die „man“ offenbar braucht, um glücklich zu sein. Ich erinnere mich noch, dass sich das wirklich so anfühlte wie eine Entscheidung: „So jetzt muss ich mir also was zusammenbasteln. Hier bin ich, ok, offenbar reicht das nicht, also was könnten wir noch an mich drankleben, was sollte man überkleben, was besser gleich ganz rausschneiden und wie könnten wir den Rest von mir anmalen, damit ich „was aus mir machen“ kann?“
Das hatte tatsächlich mal eine Klassenkameradin in der Unterstufe zu mir gesagt: „Aus dir könnte man noch was machen!“. Ich verstand, was sie meinte, aber ich verstand auch nicht. Warum sollte ich, wo ich doch schon da bin, noch etwas künstliches zu mir dazu erschaffen?
Aber ihre Worte hallten nach und irgendwann fand ich es offenbar eben doch eine gute Idee: Ich fing auch an jemand sein zu wollen, so wie alle anderen. Und nach ein paar Jahren war ich gar nicht so schlecht unterwegs damit.
Aber je mehr ich jemand wurde und je grösser die Chancen, noch mehr jemand zu werden, desto schlechter fühlte ich mich; es war als ob es mich meines inneren Friedens beraubte. Es fühlte sich jedes Mal an wie eine Falle. Wie wenn man mir das, was ich so gerne wollte, vor die Nase halten würde, und mich damit in einen laaaangen, dunkeln Tunnel hineinlocken wollte.
Ich konnte da nie weiter hineingehen als ein bisschen die Nase reinzustrecken. Es ging einfach nicht. Auch wenn ein Teil (der sogenannt „vernünftige“ und „verantwortungsvolle“ Teil) von mir es noch so wollte. Lange wusste ich nicht warum es nicht ging, und machte mich auch noch fertig dafür. Uff, aber wie dankbar bin ich heute! Ich weiss nicht ob ich aus diesem Tunnel je wieder herausgekommen wäre...
Je mehr du jemand bist, desto mehr musst du darauf achten, immer in dein eigenes Bild (Image!) zu passen, immer ein gutes Bild abzugeben. Einfach sein, einfach entspannen, das geht dann nicht mehr, man ist dann immer am Machen, am Festhalten, am Zusammenreissen, am Kontrollieren, am Überspielen... Uff...nee du.. also liess ich nach ein paar erkundenden Schritten alles wieder bleiben, liess Karrierechancen an mir vorbeiziehen, zog mich wieder zurück. Und dann, nach einer Weile des mich selbst Geniessens, liess ich mir doch wieder einreden, dass das, was ich bin, noch nicht reiche, dass ich mich irgendwie verbessern müsse, etwas werden, usw...Und ich versuchte es wieder. Dieses Spiel wiederholte ich jahrelang und ich habe immer wieder daran gelitten, dass ich „noch nicht genug“ bin. Das war eigentlich über Jahre hinweg der Grund für all meinen Stress und meine Probleme. Bis ich dieses ganze Vorhaben, nachdem es immer schmerzhafter wurde, einfach in den Wind blies.
Lieber bin ich ein Niemand in Frieden als jemand in Stress.
Wir alle wollen SelbstbewusstSein aber anstatt bei uns selbst anzufangen, wie es der Ausdruck ja eigentlich schon verraten würde, wenden wir uns an Zeitschriften, Filme, allgemeine Trends und überhaupt: an die Meinung anderer, um Bestätigung zu bekommen. Dieses Selbstbewusstsein können wir nur über andere bekommen. Was wir also Selbstbewusstsein nennen, ist in Wahrheit ein Fremdbewusstsein. Wir sehen (und bewerten!) uns durch die Augen anderer. Wir richten uns nach der Meinung anderer und so ist es nicht mehr unser Eigenes, was wir sind. Wir studieren unsere ganz persönliche Selbst-Verbiegungs-Nummer ein und üben sie so lange, bis diese Nummer, diese Rolle, diese Maske mit unserem echten Gesicht verwächst bzw wir Maske und wahres Gesicht nicht mehr auseinanderhalten können. Diese Maske, diese Person, ist ein künstliches Konstrukt (man nennt es auch das Ego). Es muss früher oder später kaputtgehen oder Löcher und Risse bekommen. Und sein Unterhalt kostet uns so viel Energie, dass uns irgendwann die Puste ausgeht. Wie jedes Lügengebilde ist es dem Untergang geweiht, eines Tages wird alles auffliegen.
Spätestens am Tag unseres Todes.
Der umso qualvoller wird, je mehr wir mit unseren Masken verwachsen sind.
Legen wir unsere Masken schon zu Lebzeiten eine nach der anderen ab, haben wir das, was beim Sterben geschieht, schon geübt und das endgültige Loslassen wird uns leichter fallen. Und bis dahin haben wir die besten Chancen auf ein erfülltes, weil wahrhaft selbst-bewusstes Leben.
Alles Liebe
Suva
..."Stirb, während du lebst, und sei vollkommen tot.
Dann tue, was immer du willst - alles ist gut."
Shido Bunan Zenji.
Weiterführend lesen zB Osho: https://www.osho.com/de/read/featured-articles/other-myself/alone-at-last